Das Spannungsfeld der Extreme – verstaatlichte Elektrizitätswirtschaft auf der einen Seite, marktwirtschaftlich-pluralistische Strukturen auf der anderen – der bisherigen nationalen Ordnungen fanden in zähen Verhandlungen ihren Widerhall.
Am 20. Juni 1996 einigten sich die Energieminister der damaligen EU-Staaten schließlich auf den Text für die Elektrizitätsrichtlinie. Dieser wurde am 25. Juli vom EU-Ministerrat verabschiedet. Nachdem das EU-Parlament am 10. Dezember in zweiter Lesung zustimmte, konnte die Richtlinie 96/92/EG am 19. Februar 1997 inkrafttreten. Spätestens zwei Jahre später, also am 19. Februar 1999, sollte sie in nationales Recht umgesetzt sein.
Kurz zur Erinnerung: Richtlinien gelten nicht unmittelbar im nationalen Rechtsraum, sie müssen erst vom Gesetzgeber in nationales Recht transportiert werden. Verordnungen hingegen gelten unmittelbar und sofort. Das bedeutet, dass bei der Umsetzung einer Richtlinie quasi eine EU-gemeinschaftliche Mindestbasis im nationalen Recht landet, der lokale Gesetzgeber dabei allerdings durchaus eigene Akzente setzen kann.
Zentraler Gegenstand der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie war die Öffnung des Absatzmarkts. Diese hatte zwei Dimensionen: Eine quantitative und eine qualitative.
Auf quantitativer Ebene sah die Richtlinie vor, den Markt schrittweise zu öffnen. Dafür wurde die Konstruktion des "zugelassenen Kunden" entwickelt. Beginnend bei den Großverbrauchern bis hinab zu den einzelnenen Haushalten sollten mit jedem Öffnungschritt mehr und mehr Abnehmer die Möglichkeit erhalten, ihren Versorger frei zu wählen. Der relative Marktanteil des kumulierten Verbrauchs der zugelassenen Kunden entsprach dann dem Marktöffnungsgrad.
Zu den quantitativen Maßnahmen kamen die qualitativen, die einen Wettbewerb stimulieren sollten – ohne echten Wettbewerb kann kein Kunde seinen Anbieter wirklich frei wählen.
So sollten also zwei Aspekte den Wettbewerb fördern:
Zum einen wurde eine Reziprozitätsklausel vorgesehen, die Mitgliedsstaaten erlaubte, Stromimporte für auf ihren Märkten zugelassene Kunden zu verhindern, wenn Kunden der selben Art im exportierenden Land nicht auch zu den zugelassenen Kunden gehörten.
Zum anderen der wichtige Netzzugang (Third Party Access – TPA): Es wurden die Transport- und Verteilnetze geöffnet, damit Dritte darüber überhaupt ihre Kunden mit Strom beliefern konnten. Drei wesentliche Modelle sah die Richtlinie hierfür vor: Der verhandelte (negotiated TPA, nTPA) und der regulierte Netzzugang (regulated TPA, rTPA), sowie das Alleinabnehmermodell (Single Buyer).
Dieser Artikel ist Teil einer mehrteiligen Serie:
Das war ein Beitrag für das Adventsbloggen 2012. Die Urfassung dieses Texts war als Kapitel 3.1.1 Bestandteil meiner Diplomarbeit: Die Europäische Elektrizitätswirtschaft und das wachsende Europa.